Anlässlich der Gedenkveranstaltung in Brakelsiek habe ich dazu aufgerufen, für Demokratie und Frieden aktiv einzutreten (gekürzt):
Immer zwei Sonntage vor dem ersten Advent erinnern wir uns am Volkstrauertag, an die Soldaten, an die zivilen Kriegsopfer, an die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, an die Toten der Diktaturen.
Hinter jedem Opfer steht ein persönliches Schicksal, ein verlorenes Menschenleben in abstrakten Kämpfen und Staatsinteressen, in Glaubenskriegen, in Schlachten um Ideologien. Und hinter jedem Opfer stehen Hinterbliebene, die trauern, zerstörte Familien und zerstörtes Glück.
Der erste Weltkrieg endete vor mehr als 100 Jahren, der zweite Weltkrieg vor 76 Jahren. Beide Weltkriege sind lange vorbei und leider lässt das
geschichtliche Interesse zunehmend nach. Dabei ist es so wichtig. Zum Beispiel begann vor 80 Jahren Hitlers Russlandfeldzug, an dessen Ende allein die Sowjetunion 24 Millionen Tote zu beklagen
hatte. Die Sowjetunion war das Land, das mit Abstand die meisten Opfer verzeichnen musste. Dieses Wissen sollte man im Kopf haben, um das Handeln und die Reaktionen von Menschen und Regierungen
einordnen zu können.
Aber der 2. Weltkrieg ist lange vorbei, mehr als ein dreiviertel Jahrhundert.
„Langsam muss es aber auch mal gut sein, wir alle hier tragen keine Schuld daran, was damals passiert ist!“
Richtig, wir alle hier tragen keinerlei Schuld daran, was in der Zeit der beiden Weltkriege passiert ist. Das hat allerdings auch niemand
behauptet und das will uns auch niemand einreden. Weder haben wir Schuld daran, noch können wir das Geschehene nicht rückgängig machen. Wir dürfen es aber auch nicht ignorieren, wir dürfen es
nicht relativieren und wir dürfen es nicht umdeuten. Wir müssen uns daran erinnern!
„Alles was gestern war, wird man vergessen haben. Was heute ist, nicht sehen. Was morgen kommt, nicht fürchten. Man wird vergessen haben, dass man den Krieg verloren, vergessen haben, dass man ihn begonnen, vergessen, dass man ihn geführt hat. Darum wird er nicht aufhören.“
Diese Worte stammen aus dem Werk „Die letzten Tage der Menschheit“ von dem Österreichischen Schriftsteller Karl Kraus. Sie stammen aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Der damals aufkommende Nationalsozialismus und der zweite Weltkrieg haben ihm leider Recht gegeben.
In Schieder-Schwalenberg leben aktuell noch rund 400 Menschen, die den zweiten Weltkrieg bewusst erlebt haben. Die meisten davon nur als Kind. Einige wenige vielleicht als Soldat oder als Angehöriger eines Soldaten. Alle anderen kennen den 2. Weltkrieg vielleicht aus Erzählungen oder aus Geschichtsbüchern. Das Interesse an dieser Geschichte lässt allerdings spürbar nach. Vielen ist es völlig egal.
„Alles was gestern war, wird man vergessen haben. Darum wird der Krieg nicht aufhören …“
Wir sollten diese Mahnung ernst nehmen, wenngleich ich persönlich nicht so pessimistisch bin. Aber wir müssen wachsam sein und deswegen sind mir der Volkstrauertag und auch die Gedenkveranstaltungen im Rahmen der Schützenfeste so wichtig.
Es geht nicht allein darum, dass wir der Toten der Vergangenheit gedenken. Es geht auch um das Mahnen für die Zukunft, damit wir in der
Zukunft diese Fehler nicht wiederholen. Es geht also nicht darum, dass wir Schuld auf uns nehmen.
Noch einmal: niemand hier hat Schuld an unserer Vergangenheit. Es geht vielmehr darum, dass wir uns der Verantwortung stellen, die sich aus unserer Geschichte ergibt. Verantwortung übernehmen, um
die Zukunft zu gestalten. Darum geht es!
Deswegen muss der Volkstrauertag immer aktuell bleiben. Die Anzahl der Teilnehmer an den zahlreichen Gedenkveranstaltungen könnte teilweise allerdings besser sein. Ich glaube daher auch, dass sich der Volkstrauertag etwas wandeln muss, damit er aktuell bleibt. Ich glaube, dass sich unsere Erinnerungskultur etwas wandeln muss, damit sie nicht zur bloßen Erinnerungsfolklore verkommt. Es geht eben nicht nur um die beiden Weltkriege, die weit in der Vergangenheit liegen und deren Erinnerungen zunehmend verblassen. Wir müssen stattdessen die Gegenwart etwas mehr in den Fokus rücken.
Und wenn ich mir die Gegenwart anschaue, dann komme ich zum Ergebnis, dass Veranstaltungen wie diese wichtiger denn je sind. Die Lektionen, die wir aus den schrecklichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts gelernt haben, müssen uns dazu befähigen, rechtzeitig zu erkennen, wenn Freiheit, Demokratie und Frieden heute bedroht werden.
Damit meine ich die vielen Krisenherde auf der Erde. Immer wieder brechen Konflikte auf, kommt es zu Kriegen und in einer globalen Welt sind auch wir immer berührt.
Die Probleme der Gegenwart betreffen aber auch unserer Gesellschaft, das menschliche Miteinander.
In den letzten Jahren haben wir die Erfahrung gemacht, wie schnell sich Gesellschaften spalten lassen, wie schnell sich Menschen radikalisieren. Die letzten 1,5 Jahre haben diese Entwicklung spürbar beschleunigt. Wir sind nicht mehr in der Lage, einen vernünftigen politischen Diskurs zu führen. Wir sind nicht mehr in der Lage miteinander zu diskutieren.
Eine Meinung ist nur eine Meinung, nicht mehr und nicht weniger. Eine Meinung ist keine Tatsache. Deswegen hilft es nicht, seine Meinung besonders oft und laut hinauszubrüllen. Argumente sind da viel hilfreicher.
Viele Menschen sind nicht mehr in der Lage, gegenläufige Meinungen zu akzeptieren. Es geht nicht darum, diese Meinung zu teilen, es geht nur darum, sie zu akzeptieren. Stattdessen beanspruchen wir die absolute Deutungshoheit und alles, was davon abweicht, wird niedergebrüllt.
Dabei macht doch gerade das die Demokratie aus: unterschiedliche Meinungen zu haben und die Meinungen auch austauschen zu können.
Demokratie wird von uns als Selbstverständlichkeit hingenommen, aber wir sind nicht mehr in der Lage damit umzugehen. Demokratie ist also alles andere als selbstverständlich.
Ein Beispiel und ich glaube, dass diese Diskussion bald kommen wird:
Ist die Klima-Krise nicht viel existenzbedrohender als die Corona-Krise? Wenn wir aber wegen des Corona-Virus die Grundrechte einschränken, sollten wir das dann nicht erst recht wegen des
Klimawandels? Es handelt sich doch um einen absoluten Notfall, es geht um nicht weniger, als um unser Überleben. Der Zweck heiligt die Mittel und das Ziel ist doch ein gutes!
Und plötzlich merken wir, wie schnell doch unsere angeblich gefestigte Demokratie und unsere Grundrechte, die man bisher als selbstverständlich und gottgegeben wahrgenommen hat, zur Disposition gestellt werden können.
Ich glaube, dass unsere Gesellschaft weiterhin anfällig für Demokratie- und Friedensfeinde ist. Eigentlich brauchen wir nur eine handfeste Krise, zudem eine Bevölkerungsgruppe, der wir die Schuld zuweisen und schon können wir beobachten, wie sich ein Teil der Bevölkerung radikalisiert und ein nicht unerheblicher Teil mitläuft.
Und deshalb brauchen wir den Volkstrauertag. Wir brauchen den Volkstrauertag, um uns zu erinnern und wir brauchen den Volkstrauertag zur Mahnung, dass wir verantwortungsvoll mit dem Frieden und der Demokratie umgehen.
Frieden und Demokratie müssen gelebt werden. Frieden und Demokratie müssen immer wieder aufs Neue verteidigt werden.
Seit 1945 lebt Schieder-Schwalenberg in Frieden. Ein Frieden, der nicht selbstverständlich ist, ein Frieden, der nicht durch Schweigen und Wegsehen, sondern durch Worte und Taten verteidigt werden muss.
Deshalb bitte ich jeden einzelnen, für Frieden, für Freiheit, für Demokratie, für Rechtstaatlichkeit und für Menschlichkeit einzustehen. Im Kleinen, wie im Großen.